( http://www.tacheles-sozialhilfe.de/harry/view.asp?ID=1840 ) s. Soz.Info 3/2009 S. 5 5. Sozialgericht Marburg 5.1 Sozialgericht Marburg S 9 SO 60/09 ER 14.07.2009, Beschluss Auch „Hartz-4“- Empfänger haben Recht auf Bildung und Übernahme der Kosten für monatliche Busfahrkarte als Darlehn Bei den Schülerbeförderungskosten handelt es sich um Mobilitätskosten, die als Bedarf des täglichen Lebens von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfasst sind (vgl. auch SG Aurich, Urteil vom 14. März 2008, Az. S 25 AS 822/07, Rn. 37 ). Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), an der sich die Zusammensetzung des Regelbedarfs orientiert, beinhaltet in Abteilung 07 einen eigenen Anteil für Verkehr. Hierzu gehören auch die Kosten für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bzw vergleichbare Beförderungskosten. Die Regelleistung ist grundsätzlich abschließend (§ 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II), eine Erhöhung also ausgeschlossen. Ein Anordnungsanspruch aus § 23 Abs. 3 SGB II, der abschließend Bedarfe aufführt, die nicht von der Regelleistung umfasst sind, besteht nicht, denn die geltend gemachten Schülerbeförderungskosten fallen in keine der hier aufgezählten Fallgruppen. Auch scheidet eine analoge Anwendung aus, da wegen des abschließenden Regelungsgehaltes schon keine hierfür erforderliche Regelungslücke ersichtlich ist. Ferner scheidet sowohl eine direkte als auch eine analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, der eine Erhöhung des Regelsatzes unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II bzw. aus systematischen Gründen aus (vgl. hierzu insgesamt SG Aurich, Urteil vom 14. März 2008, Az. S 25 AS 822/07, Rn. 24ff ) . Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Die Schülerbeförderungskosten stellen für den Antragsteller aufgrund der gegebenen Umstände auch einen unabweisbaren Bedarf dar. Ohne die Fahrten zur Schule ist ihm eine Teilnahme am schulischen Unterricht nicht möglich. Einen Abbruch der schulischen Ausbildung mangels finanzieller Möglichkeiten zum Aufbringen der Schülerbeförderungskosten ist von dem Antragsteller nicht zu verlangen und wäre ihm schlichtweg unzumutbar. Dies gilt schon deshalb, weil die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern aus Haushalten von SGB II-Empfängern zu fördern sind. Die Gewährung einer angemessenen Ausbildung bildet die Grundlage, den Lebensunterhalt zukünftig durch Arbeit eigenständig sicherstellen zu können und ist durch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) geboten (vgl. u.a. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21.06.2007 - L 8 AS 491/05, Rn. 22 - SG Aurich, Urteil vom 14. März 2008, Az. S 25 AS 822/07, Rn 39 – ). Aufgrund der monatlichen Höhe der Beförderungskosten kann der Antragsteller auch nicht auf eine Ansparung der Beträge verwiesen werden. Gegen die Annahme eines unabweisbaren Bedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II spricht auch nicht, dass es sich bei Schülerbeförderungskosten nicht um einen einmalig anfallenden, sondern um einen monatlich wiederkehrenden Bedarf handelt. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist seinem Regelungszweck nach zwar grundsätzlich auf einmalige besondere Bedarfe und nicht auf wiederkehrende Dauerbedarfe zugeschnitten (so auch Knickrehm, Sozialrecht aktuell 2006, 159, 160). Die darlehensweise Gewährung von wiederkehrenden und von vornherein absehbaren Dauerbedarfen würde nämlich zum einen faktisch dazu führen, dass die im Grunde abschließende Regelleistung (§ 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II) faktisch umgangen und erhöht würde. Zum anderen hätte dies zur Folge, dass sich aufgrund der in § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II angeordneten Aufrechnung eine belastende Hypothek für die Zukunft aufbauen würde (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az. B 7b AS 14/06 R, Rn. 20 – ) . Bei der Übernahme von Schülerbeförderungskosten ab der Jahrgangsstufe 11 bis zum Abschluss der schulischen Ausbildung handelt es sich aber nicht um eine stets wiederkehrende Darlehensgewährung zur Befriedigung eines Dauerbedarfs. Zwar fallen die Schülerbeförderungsmaßnahmen in jedem monatlichen Leistungszeitraum erneut an. Die Kosten sind jedoch zeitlich begrenzt durch den Abschluss der schulischen Ausbildung, also in der Regel auf maximal drei Jahre. Es handelt sich daher nicht um einen Dauerbedarf, der zu einer faktischen Erhöhung des Regelsatzes führt, denn durch wiederkehrende darlehensweise Gewährungen wird im vorliegenden Fall kein auf unabsehbare Zeit bestehender Bedarf befriedigt. Nur in diesem Fall bestünde auf unabsehbare Zeit eine Unterdeckung des Leistungsempfängers, durch die er gerade nicht in der Lage wäre, seine Darlehensschulden gegenüber dem Leistungsträger in absehbarer Zeit zurückzuzahlen. Die Darlehensschulden des Leistungsempfängers würden vielmehr monatlich ohne absehbares Ende ansteigen. Diese Konstellation tritt aber bei der darlehensweisen Gewährung von Schülerbeförderungskosten nicht ein. Die darlehensweise Förderung des Leistungsempfängers bis zum Abschluss der schulischen Ausbildung belastet den Leistungsempfänger selbst bei durchgehendem Leistungsbezug nur mit einem von vornherein begrenzten Darlehensbetrag, der maximal durch das Ende des Schulbesuchs der Oberstufe gedeckelt ist. Insofern handelt es sich bei Schülerbeförderungskosten um grundsätzlich andere Bedarfe als bei den Kosten des Umgangsrechts, die Gegenstand des vom Bundessozialgericht zu entscheidenden Verfahrens, Az. B 7b AS 14/06 R, waren. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine darlehensweise Förderung von Ausbildung auch im Bereich des BAFöG durchgehend als taugliches Mittel der Bildungsförderung angesehen wird. Im Rahmen des SGB II besteht zudem die Möglichkeit eines späteren teilweisen oder ganzen Erlasses der Darlehensrückzahlung nach § 44 SGB II, wenn die Einziehung der Forderung nach der Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Frage des "Ob" der Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II steht nicht im Ermessen des Leistungsträgers. Soweit dem Leistungsträger nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ein Ermessen hinsichtlich des "Wie" der Leistungserbringung eingeräumt ist, ist dieses hier auf die Übernahme der Schülerbeförderungskosten als darlehensweise Geldleistung als einzige mögliche Handlungsweise auf Null reduziert. Da der Antragsteller einen Anordnungsanspruch demzufolge nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat, scheidet folgerichtig ein Anordnungsanspruch nach § 73 SGB XII aus. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen, wobei Geldleistungen als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden können. Hierbei handelt es sich um eine generalklauselartig formulierte, subsidiäre Auffangvorschrift, die atypische Bedarfe in sonstigen Lebenslagen erfassen soll, für die eine speziell gesetzliche Regelung fehlt. Da – wie oben dargelegt – ein Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II besteht, ist die Anwendung der subsidiären Auffangvorschrift im Fall der Schülerbeförderungskosten bereits aus diesem Grund ausgeschlossen. Dabei ist unbeachtlich, dass im Rahmen des 23 SGB II lediglich eine darlehensweise Leistungsgewährung möglich ist, während § 73 SGB XII auch die Möglichkeit einer Leistungsgewährung als nicht rückzahlbaren Zuschuss eröffnet. Der Nachrang der Sozialhilfe in § 2 SGB XII bezieht sich allein auf die Bedarfsdeckung – also den Erhalt der Leistungen - unabhängig von der Form der Gewährung als Zuschuss oder Darlehen. Zudem liegen auch die übrigen Voraussetzungen des § 73 Satz 1 SGB XII nicht vor. Die Anwendbarkeit des § 73 SGB XII wird zwar nicht bereits durch § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II ausgeschlossen, da nach dieser Vorschrift der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lediglich Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausschließt. § 73 SGB XII gewährt eine Leistung im Rahmen des Neunten Kapitels des SGB XII, was vom Leistungsausschluss des § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II gerade nicht erfasst ist. Auch ist nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 73 SGB XII auf Leistungsempfänger nach dem SGB II aus systematischen Gründen nicht ausgeschlossen. So hat es in seinem Urteil zum Umgangsrecht, Az. B 7b AS 14/06 R, trotz des grundsätzlich abschließenden Charakters der Ansprüche nach dem SGB II einen Anspruch auf Übernahme der Kosten des Umgangsrechts nach § 73 SGB XII bejaht. Es hat dabei aber auch ausdrücklich betont, dass § 73 SGB XII nicht beliebig als Auffangvorschrift verwendet werden dürfe, da sonst der pauschalisierende Charakter der Regelleistung nach § 20 SGB II umgangen werden könnte, was systemwidrig wäre. Daher bedarf die Vorschrift einer restriktiven Auslegung. § 73 SGB XII soll den Leistungsträgern der Sozialhilfe eine flexible Reaktion auf anderweitig nicht erfasste Bedarfe ermöglichen (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, 7. Aufl. § 73 Rn.1). Bedarfe und Leistungen, die regelhaft anfallen, lassen sich nicht unter die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" subsumieren (vgl. Hess. Landessozialgericht, Beschluss vom 29.10.2008, Az. L 6 AS 336/07, Rn. 32, zitiert nach juris). § 73 SGB XII kann auch nicht für Leistungsbezieher nach dem SGB II herangezogen werden, um vom Gesetzgeber nicht gesehene oder noch nicht erkannte, wohl aber regelungsbedürftige Hilfstatbestände im Wege der Ausübung von Ermessen aufzufangen (Hess. Landessozialgericht, a.a.O). Wie das Hessische Landessozialgericht ausführt, würde die Regelung - wenn sie generalisierend und damit auch für ungedeckte, regelhaft auftretende Bedarfe herangezogen werden würde - eine vom Gesetzgeber gerade nicht gewollte zentrale Bedeutung als Auffangnorm erhalten. Mit einer solchen Interpretation wären die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung indes überschritten (Hess. Landessozialgericht, a.a.O.). Bei den hier im Streit stehenden Schülerbeförderungskosten handelt es sich um einen Bedarf des täglichen Lebens, der in der Regelleistung nach § 20 SGB II enthalten ist (s.o.). Die Schülerbeförderungskosten lassen sich nach dem oben Gesagten damit auch nicht unter die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" fassen. Eine Anwendung des § 73 SGB XII stellt somit eine unzulässig Überschreitung dieser Norm dar. http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=119783&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=